Mit spitzer Feder …
In Zeiten der Cloud und der Streaming-Dienste sind Bibliotheken, Platten und Briefmarkensammlungen, Fotoalben und Setzkästen zu Relikten der Vergangenheit geworden. An ihrer Stelle tragen Berge von Wegwerfmode und Spassartikeln, billig konsumierte Dinge mit kurzer Halbwertszeit – gekauft, um sie bald wieder loszuwerden. Diese gesellschaftliche Erscheinung stört mich immer mehr und zwingt mich vom Überfluss der Produktemöglichkeiten (innerlich) abzugrenzen. Das Leben im verschwenderischen Überfluss macht unzufrieden, unglücklich und weckt Bedürfnisse, die eigentlich gar nicht existieren – irgendwie toxisch. Durchschnittliche Europäer besitzen heute ungefähr 10000 Dinge, das kann man so im Internet nachlesen. Und: Einmal gekaufte Produkte werden immer weniger genutzt: so verstauben beispielsweise Kleider, die noch mit Preisschild versehen sind, im Schrank hängen.
Wie hoch ist der Wert der Dinge? Ich habe mir als Kind schon Gedanken darüber gemacht und mich magisch von schönen Dingen angezogen gefühlt. Das ist bis heute geblieben. Schöne Dinge lassen meine kindliche Seele jauchzen. Kinder denken nicht ans Ausmisten – sie denken einzig ans Sammeln. Die Kinderzimmer meiner beiden kleinen Neffen sind voll mit allerlei Krimskrams, und sie erzählen mir mit glänzenden Augen über jedes einzelne Ding eine Geschichte – einfach fantastisch. Für sie ist ein Stein potenziell auch ein Haus, ein Fetzen Papier ein Flugzeug. Für sie steckt in jedem Ding ein Universum.
Auch ich habe mir in meiner neuen Wohnung mein fantastisches Universums à la «Alice im Wunderland» geschaffen. Ein Mix aus Couture-Boutique, Kunstmuseum, Filmwelt, Cabaret, Boudoir, Literatenstube und Golden Age of Hollywood– meine Welt. Jeden Abend freue ich mich, in dieses zauberhafte Reich der Träume, der Imagination, des Glitzers und Glamours zurückzukehren. Jedes Ding in meiner Wohnung hat seinen Wert und natürlich seine Geschichte. Über Jahre habe ich alle diese wunderschönen Accessoires, Möbelstücke, Antiquitäten, Raritäten sorgfältig und mit viel Liebe zum Detail ausgesucht und zu einem wundervollen Ganzen arrangiert – einer Welt, die meine Persönlichkeit manifestiert und ausdrückt. Alle diese Gegenstände sind von sentimentalem Wert und ich möchte sie nicht missen. Es sind Dinge, die Spuren meines Herzens beinhalten, Unwiederbringliches, aber auch schmerzhaft Vermisstes. Sie bringen den Geist der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft in meine vier Wände. So umgeben mich beispielsweis meine Bücher und halten mich geborgen inmitten von Geschichten und fantastischen Welten und lassen meine Seele tanzen.
Und manchmal streife ich nachts durch meine Wohnung und erfreue mich mit allen Sinnen an diesen zauberhaften Dingen: Ich streiche mit der Hand über das samtene Polster der alten Stühle und denke an meine Polsterin, die Zeit, Know-how und Energie in diese alten Möbeln gesteckt hat, als sie sie neu überzog. Oder ich spüre das kantige Holz meines Karussellpferdchens, das aus dem 19. Jahrhundert stammt, und einst mitten in Paris seine Runden gedreht hat – auf seinem Rücken die jauchzenden Kinder. Und jetzt steht es in meiner Wohnung. Ich höre die Musik, sehe die bunten Lichter, die immer schneller drehen, höre die Gesprächsfetzen des Publikums und versetze mich in diese nostalgische Zeit. Oder die alte Schneiderpuppe – auch aus Frankreich. Welche edlen Stoffe wurden wohl an ihr präpariert? Behängt mit topmodernen LED-Lämpchen erstrahlt sie in neuem Glanz.
Dinge und ihr Besitz sind unweigerlich mit dem Menschen verbunden. Doch nicht nur an Dinge geknüpfte Erinnerungen und Beziehungsgeflechte schaffen einen Wert: Material, Arbeitszeit und Idee geben ihnen einen Preis. Deshalb habe ich mir vorgenommen, in langlebige Produkte zu investieren, an denen ich lange meine Freude habe. Zeitlose und formschöne Objekte, die den Sinnen schmeicheln. Und die nicht zuletzt unter moralisch vertretbaren Bedingungen hergestellt wurden. Traditionelles Handwerk hat nicht nur einen zeitökonomischen, sondern auch kulturell einen enormen Wert. Lassen wir uns doch darauf ein – und gehen mit unseren (schönen) Dingen eine Beziehung ein. Es lohnt sich – nicht bloss ökologisch und ökonomisch – sondern bringt uns auch einen ästhetischen Mehrwert.
Herzlichst,
Ihre Corinne Remund
Verlagsredaktorin